Das Solidaritätsparadox: Gibt es so etwas wie eine gerechte Versicherung?

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In einer Welt, die von Daten und modernen Technologien geprägt ist, sind wir in der Lage, eine genauere Risikobewertung auf individueller Ebene vorzunehmen, und das übt einen großen Druck auf das Solidaritätsprinzip aus.

Die intelligente Datenverwendung hat die prädiktiven Fähigkeiten verbessert

Es ist gut möglich, dass Ihr persönlicher Lebensstil in Zukunft zu einem entscheidenden Faktor für die Kalkulation Ihrer Versicherungsprämie werden wird, zum Beispiel in der Kfz-Versicherung. Das könnte eine gute Nachricht für all diejenigen sein, die jeden Sonntag eine Runde Golf in ihrem lokalen Golfklub spielen. Im Allgemeinen pflegen Mitglieder dieser Bevölkerungsgruppe einen weniger riskanten Lebensstil als Menschen, die jeden Sonntag ins Stadion pilgern, um sich ein Fußballspiel anzusehen. Daher wird das Golfspiel in Zukunft vielleicht eine Datenkategorie, die Versicherungsgesellschaften verwenden könnten, um niedrigere Versicherungsprämien anzubieten. Denn warum sollten Menschen, die gerne Golf spielen, für Menschen „bezahlen“ müssen, die lieber Fußball ansehen?

Ganz so einfach ist es in der Praxis jedoch nicht. Schließlich sind Freizeitaktivitäten nur einer der zahlreichen Faktoren, die Aufschluss über eine Person (und ihr Risiko) geben. Nur durch die Kombination aller unterschiedlichen Informationsquellen können wir mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zutreffende Aussagen über individuelle Risiken treffen. Das ist im Wesentlichen der Grund, warum Big Data in den letzten Jahren so wichtig geworden ist. Letztlich lässt sich alles auf eine Feststellung reduzieren: Daten ermöglichen wesentlich genauere Prognosen.

Das Solidaritätsparadox

Die verbesserte Vorhersagbarkeit hat für Versicherungsgesellschaften fundamentale Konsequenzen: Sie rückt das Solidaritätsprinzip in eine ganz neue Perspektive. Das hat einen ganz einfachen Grund. Da über jeden Aspekt unseres Lebens Daten zur Verfügung stehen, wissen wir mehr über die individuellen Risiken, zum Beispiel das Krankheitsrisiko, das Risiko eines Arbeitsunfalls oder das Risiko, in finanzielle oder rechtliche Schwierigkeiten zu geraten. Außerdem gewinnen wir dadurch ein genaueres Bild, wie sich unsere individuellen Risiken zum durchschnittlichen Risiko der Gesamtbevölkerung verhalten. Früher hatten wir nur ein ungefähres Bild der Situation eines Versicherungsnehmers und der Versicherer musste die Prämien ausschließlich auf Basis allgemeiner Informationen kalkulieren. Heute lassen sich die Versicherungsprämien mit chirurgischer Präzision berechnen.

De solidariteitsparadox: wel of geen eerlijke verzekering? - CCS Connects

Das traditionelle Solidaritätskonzept als unverrückbares Fundament aller Versicherungsaktivitäten hat nun erste Risse bekommen. Anders ausgedrückt: Die neuen Erkenntnisse, die durch die Daten ermöglicht werden, werden der Lackmustest sein, wie viel Solidarität wir gegenüber unseren Mitmenschen zeigen wollen.

Werden die Menschen noch bereit sein, Risiken mit einer Bevölkerungsgruppe zu teilen, von der sie wissen – nun, da die entsprechenden Daten zur Verfügung stehen –, dass sie wesentlich höhere Risiken hat? Dieses Dilemma ist auch als Solidaritätsparadox bekannt: Je mehr wir darüber wissen, wie wir andere Menschen mit höheren Risiken „subventionieren“, desto weniger sind wir bereit, mit ihnen solidarisch zu sein. Vor allem, wenn wir wissen, mit welchen Beträgen wir sie subventionieren. Die Techniken der Datenanalyse machen deutlich, dass Erkrankungen oftmals keine Folge von Pech oder unglücklichen Umständen sind, sondern dass eine direkte Korrelation zwischen der Inanspruchnahme von Versicherungsleistungen und individuellem Verhalten besteht.

Chancen für Versicherer

Die Versicherer reagieren schon seit Jahren auf diese Entwicklungen. In einigen Ländern ist es für junge Menschen zum Beispiel fast unmöglich, eine Kfz-Versicherung abzuschließen, weil die Daten zeigen, dass diese Kategorie an Versicherungsnehmern mit besonders hohen Risiken behaftet ist. Das ist auch der Grund, warum sich in einigen Länder der Einsatz von Telematik in der Kfz-Versicherung – zur Überwachung des Fahrverhaltens – einer zunehmenden Beliebtheit erfreut. Das Problem von Taxifahrern, sich zu versichern, ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Entwicklungen in der Gesellschaft die Versicherungslandschaft verändern.

Im maximalen Fall werden Versicherer in der Lage sein, alle Produkte auf Basis Ihres Lebensstils zu personalisieren: Die drei Sensoren in Ihrem Smartphone (GPS, Accelerometer und Gyroskop) eröffnen zum Beispiel zahllose Möglichkeiten. Versicherungsgesellschaften wissen nicht nur, welche Strecken Sie auf dem Fahrrad zurücklegen oder wie oft Sie ein Restaurant besuchen, sie können sogar sehen, ob Sie auf dem Fahrer- oder Beifahrersitz eines Autos sitzen. Das eröffnet ein riesiges Potenzial für personalisierte Angebote. Es ist nur eine Frage der Bereitschaft der Menschen, diese Menge an sensiblen persönlichen Informationen zu teilen.

Sind personalisierte Versicherungspolicen die Lösung?

Personalisierte Versicherungsprämien scheinen das ideale Konzept zu sein. Sie sind jedenfalls definitiv ein Thema, das oft in Expertendiskussionen hervorgehoben wird. Allerdings besteht die Gefahr, dass wir es zu weit treiben. Im Jahr 2018 sorgte China mit der Einführung des umstrittenen Social-Credit-Systems für Schlagzeilen.

Jeder Bürger wird mit Pluspunkten für gutes Verhalten belohnt; für schlechtes Verhalten gibt es dagegen Punktabzug. Wenn Sie zum Beispiel Ihre Eltern und Großeltern besuchen, erhalten Sie Pluspunkte; kaufen Sie dagegen Alkohol, werden Ihnen Punkte abgezogen. Die Gesamtpunktzahl ist Ihr Social-Credit-Rating, das Aufschluss darüber gibt, wie „vertrauenswürdig“ Sie sind. Und das kann eine entscheidende Rolle bei der Beantragung eines Kredits oder dem Abschluss einer Versicherung spielen. Das ist die extremste Form der Produktpersonalisierung.

Das System beruht auf der Annahme, dass sich das Verhalten perfekt modellieren lässt und wir Verhaltensweisen, die auf positive oder negative Weise von der Norm abweichen, ganz genau und korrekt mit Plus- oder Minuspunkten bewerten können. Diese Hypothese mag in einem laborähnlichen Setting funktionieren, aber im echten Leben ist die Situation weitaus komplizierter.

Betrachten wir zum Beispiel die folgende Situation: Erhalten Sie Plus- oder Minuspunkte für den wöchentlichen Besuch eines Fitness-Studios? Wenn Sie eine Umfrage in einem Altersheim durchführen, besteht eine große Chance, dass viele der Bewohner noch nie in einem modernen Fitness-Studio waren. Umgekehrt gibt es viele (Profi)Sportler, die in sehr jungen Jahren sterben. Welche Gruppe sollte nun in den Genuss niedrigerer Krankenversicherungsbeiträge kommen?

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Ein Fitness-Studio kann gut für Ihre Gesundheit sein; aber nur weil Sie in ein Fitness-Studio gehen, heißt das noch nicht, dass Sie gesund sind. Und wenn jemand sehr gesund lebt und jede Woche im Fitness-Studio trainiert, aber auch jedes Jahr in die Tropen fliegt, was bedeutet, dass er oder sie ein wesentlich höheres Risiko hat, sich eine Tropenkrankheit zu holen? Wie wird sich das auf die Höhe der Versicherungsprämie auswirken?

Fazit

Wenn man bedenkt, wie komplex die Welt ist, bietet das Solidaritätskonzept eigentlich viele Vorteile. Jeder Mensch ist einzigartig, und das lässt sich nur schwer modellieren. Wenn jemand die bewusste Entscheidung trifft, einer Aktivität nachzugehen, die mit einem hohen Unfall- oder Verletzungsrisiko behaftet ist, ist es logisch, dass diese Person eine höhere Versicherungsprämie bezahlt. Und wenn wir diese Risiken mit IoT und Daten genauer quantifizieren können, umso besser. Schließlich würde es dazu beitragen, ein transparenteres und gerechteres Versicherungssystem zu schaffen. Allerdings besteht die Gefahr, dass einige Versicherungsgesellschaften dann nicht mehr bereit sein werden, „Hochrisiko-Gruppen“ zu versichern.

Auch wenn das Solidaritätsprinzip generell eine sehr gute Sache ist (alle Versicherungsnehmer tragen die Risiken kollektiv, unabhängig von der Höhe des eigenen Risikos), könnten die modernen Technologien, die uns heute zur Verfügung stehen, hier zu einer grundlegenden Verschiebung führen.