Digitale Transformation – Geschäftsprozessoptimierung bei Versicherungen vor, während und nach der Pandemie

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Oliver Urlauber blickt auf eine lange Karriere im Versicherungsumfeld zurück, in der er in verschiedenen Rollen für unterschiedliche, internationale Unternehmen tätig war. Derzeit ist er Sales Director DACH bei CCS und hilft Versicherungsunternehmen, ihre Altsysteme mit einer modernen Digital Insurance Platform zu modernisieren. Im heutigen Interview äußert er sich zur Notwendigkeit eines effektiven Geschäftsprozessmanagements, um die digitale Transformation der Versicherung zu gestalten.

Wie bewerten Sie den aktuellen Status der Geschäftsprozessoptimierung in der Versicherungsindustrie?

Sicherlich haben Versicherungsunternehmen in den letzten Jahren versucht ihre Geschäftsprozesse zu optimieren, die wirklich erfolgreichen Beispiele sind jedoch rar. Häufig werden bestehende Prozesse nur teilautomatisiert oder die Optimierung ist für das Versicherungsunternehmen eine Verbesserung, während der Kunde keinen Effekt der Optimierung verspürt. Einer der vorwiegenden Gründe sind häufig starre Kernversicherungslösungen deren Flexibilität bezüglich Prozesse sehr begrenzt ist.

Haben Sie dafür ein Beispiel aus der Praxis?

Natürlich. Wenn wir mit Versicherungsunternehmen in Workshops einen Schadenprozess optimieren, dann ist die Anforderung der Versicherer häufig, dass die erste Information, die vom Versicherungskunden verlangt wird, seine Vertragsnummer. Das ist auf Basis der bestehenden Prozesse und Systeme zwar nachvollziehbar, aber nicht aus Kundensicht gedacht. Geben wir doch dem Versicherungskunden die Chance die vorhandenen, für Ihn wichtigen Informationen einfach und schnell zu erfassen oder zu benennen, um dann einen transparenten und kontinuierlichen Dialog mit dem Kunden zu führen, sodass die Versicherungskunden sowohl den Fortschritt der Schaden-/Leistungsbearbeitung, als auch die „Kümmerer“-Rolle des Versicherers erkennen können.

Häufig sind unflexible Altsysteme und die technischen Begrenzungen die Ursache von Limitierungen in Prozessideen und Prozessoptimierungen. Dabei mache ich keine Vorwürfe an die Mitarbeiter, die häufig und über Jahre diese technischen Limitierungen erfahren haben und in Ihrer Kreativität gebremst wurden. Was nützt ein kreativer, kundenorientierter Prozess, der technologisch nur sehr schwer oder aufwendig umzusetzen ist.

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Was sehen Sie als die drei kritischen Erfolgsfaktoren für eine erfolgreiche Geschäftsprozessmanagement Strategie?

  1. Alles beginnt mit der kulturellen Bereitschaft, Prozesse aus unterschiedlichen Blickwinkeln oder Rollen zu denken und die Interessen der Versicherungskunden mit denen der Versicherungsunternehmen in Einklang zu bringen. Dabei können agile Methoden helfen, aber auch das Topmanagement, welches den Versicherungskunden stärker in den Mittelpunkt stellt, bildet eine gute Basis für ein Umdenken. Natürlich leichter gesagt als getan, aber hier sehe ich bei vielen Versicherungsunternehmen Bewegung und spürbare Fortschritte.
  2. Die bereits erwähnten technologischen Barrieren müssen abgebaut werden, um nicht immer wieder in die begrenzten Möglichkeiten von Altsystemen und den darin verankerten Prozessen, zu verfallen. Das bedeutet nicht zwangsläufig die Ablösung von Altsystemen. Häufig gibt es auch die Option eine flexible Prozessmanagementlösung einzuziehen, ohne sich dem Risiko einer komplexen Migration auszusetzen.
  3. Als weiteren entscheidenden Faktor empfinde ich die gute, alte 80/20 Regel. Der Automatisierungsgrad sollte für 80% der Prozesse umgesetzt sein, um die freien Ressourcen auf eine schnelle und qualitativ hochwertige Bearbeitung der verbleibenden 20% Fälle einsetzen zu können. Klingt einfach, die Praxis zeigt jedoch, dass diese simple Regel im Projekt häufig vernachlässigt wird…

In welchen Schritten sehen Sie Chancen für Versicherer Ihren Automatisierungsgrad zu erhöhen?

Wenn die oben genannten Erfolgsfaktoren gelegt sind, dann ist Schritt 1 definitiv den Fokus verstärkt auf die Optimierung von Geschäftsprozessen zu legen. Aktuell hinkt die Versicherungsindustrie dem Optimierungsgrad im Vergleich zu Industrien wie Telekommunikation und Automotive noch deutlich hinterher.

Schritt 2 ist aus meiner Sicht die technologische Basis für die Umsetzung von optimierten Prozessen zu legen. Ein innovativer Prozess in BPMN modelliert, ist häufig nicht von den, in die Jahre gekommenen, Versicherungssystemen interpretierbar. Tolle Prozess- Tools, die nur in der Online- Abschlussstrecke für ein Haftpflichtprodukt greifen sind eindeutig zu wenig. Hier gibt es allerdings heute schon innovative, umfassende und grafische Werkzeuge, die auch Business-User in die Lage versetzen, ablauffähige Versicherungsprozesse zu erstellen oder anzupassen.

Schritt 3 ist dann die Nutzung von bereits existierenden Best-Practice-Prozessen für das Standard-Geschäft – also bitte nicht das Rad neue erfinden und bei null beginnen. Gleichzeitig sollte ein Schwerpunkt der Prozessoptimierung sein, innovative Themen mit hoher Strahlkraft zu realisieren. Einbindung von neuen Eco-Systempartnern in einen Geschäftsprozess sind hier ein gutes Beispiel. Wenn über die Unternehmensgrenzen hinaus automatisierte und optimierte Prozesse realisiert sind, können diese eine Sogwirkungen für viele Prozessthemen im Unternehmen haben.

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Was erwarten Sie speziell in diesem Jahr bezüglich Geschäftsprozessoptimierung bei Versicherungsunternehmen?

Durch die Pandemie wurde die Bereitschaft und/oder die Notwendigkeit von Self-Service Prozessen deutlich erhöht. Nachvollziehbar ist, dass eben nicht nur digital-affine Kunden, das Self-Service Angebot der Versicherungsunternehmen nutzen wollen oder müssen. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass die Prozesse, vor allem online, für Kunden noch einfacher zu gestalten und technologische Barrieren weiter abzubauen sind. Die Art der Kundenhardware darf zum Beispiel keine Rolle spielen, auch responsive Oberflächen die auf Tablet, PC oder Mobiltelefon problemlos funktionieren sind heute Standard – hier sollte das Ambitionsniveau der Versicherungsunternehmen deutlich höher sein. Das Medium, welches der Kunde wählt, sollte auch keine Limitierung darstellen. Ob ein Kunde das Service Center anruft oder ob er den Online Weg nutzt, darf für die Prozessqualität und die Prozessgeschwindigkeit keinen relevanten Unterschied machen.

Des Weiteren rechne ich durch die sich fortsetzende Zinspolitik und die damit einhergehende Kostensensitivität mit einer erhöhten Aufmerksamkeit auf Prozesse die aktuell noch „teuer“, also aufwendig und wenig automatisiert sind. Bis 2025 erwarte ich hier eine umfängliche Optimierung in fast allen Prozessen bei Versicherern.

Alles in allem kann man in diesem Jahr mit einer höheren Bereitschaft für schnellere Veränderung und, mit der richtigen technologischen Basis, mit einer deutlichen Optimierung im Bereich der Versicherungsprozesse bei Versicherungsunternehmen rechnen.